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Jack

Südafrika. Es war der erste Tag meines Stipendiums. Zwei Monate sollte ich bei einer Tageszeitung in Kapstadt arbeiten, die auf den ersten Blick, nach einem Boulevard-Blatt aussah – jeden Tag machte sie mit einer »Crime Story« auf. Doch sie hatte einen guten Ruf: Während der Apartheid war sie eine bedeutende Stimme der Opposition.

Es war 2005. Ich betrat das Verlagshaus; man schickte mich direkt in die Redaktion. Ein Großraumbüro. Ich fragte nach dem Redakteur, der sich um den Nachwuchs kümmerte. Mit ihm hatte ich im Vorfeld E-Mails geschrieben. »Schau mal im Raucherzimmer nach«, sagte jemand.

Dort fand ich ihn.

Ein Mann Anfang Vierzig mit wachen, funkelnden Augen,  einem Magnum-Schnurrbart und großzügigem Grinsen. Er war jemand, den man in Südafrika damals »coloured« nannte, ein Begriff, der noch aus Zeiten der Apartheid kam. Ich stellte mich vor.

»I am Jack«, sagte er.

Und kurz darauf: »I am a black man.« Er musterte mich.

Ich nickte.

Dann sprach er weiter: »I was born in a township.« Er rauchte und schaute mich an. Ich nickte.

»I was a gang member«, sagte er. Er meinte: während der Apartheid.

Ich nickte.

»The gang leader, actually«, fügte er hinzu. Jeder Satz wie ein Schuss aus der Pistole. 

Ich nickte.

»Charged for murder«, sagte er. »Twice.« Und hielt dazu zwei Finger hoch.

Jetzt musterte ich ihn.

Aber sie hätten ihn wieder frei gelassen, sagte er.

»Und?«, fragte ich. »Bist du’s gewesen?«

Jack brach in schallendes Gelächter aus und haute mir auf die Schulter.

In diesem Moment wusste ich, dass wir Freunde werden würden. Er hielt nichts von Journalisten, die Angst hatten, Fragen zu stellen. »Wenn schon Journalisten zu feige sind, Fragen zu stellen«, sagte er. »Wer soll’s dann tun?«

 

Magie

Messina. Ich sah ihn schon von Weitem. Am Bahnhof von Messina, wo ich wartete. Es war heiß, Mitte Juli und der Zug hatte schon fast drei Stunden Verspätung. Typisch Sizilien. Die Hitze war lähmend. Trotzdem trug er einen schwarzen Anzug. Und einen Aktenkoffer. Er war groß und schlaksig und bewegte sich irgendwie ungelenk. Mechanisch. So als wollten die Füße schneller als der Kopf. Er erinnerte mich an Roberto Benigni, wenn er aufgeregt ist.

Er kam auf mich zu und fragte, wie spät es ist. Dabei waren wir am Bahnhof – überall hingen Uhren.

Und der Zug, war der schon da?
Nein.

Er bedankte sich. Und zog von dannen. Komischer Kauz, dachte ich. Dann traf der Zug ein und ich hatte ihn schon fast wieder vergessen, als ich einstieg und in ein leeres Abteil schlüpfte.

Da öffnete er die Tür und setzte sich mir gegenüber. Stand auf. Zog sein Jackett aus. Hängte es säuberlich über einen Haken, strich es glatt. Setzte sich. Stellte den Koffer ab. Nahm ihn hoch, legte ihn auf seine Knie. Stellte ihn wieder hin. 

Jede seiner Bewegungen verbreitete Hektik. Ab und zu lächelte er. Ich rutschte auf meinem Sitz hin und her. Es war schwer einzuschätzen, wer er war und was er wollte. Wieder griff er zum Koffer. Nahm ihn auf den Schoß. Dieses Mal öffnete er ihn. Klack. Klack. Das Schloss sprang auf. Er lüpfte den Deckel.

Ein roter Ball fiel zu Boden. Er hob ihn auf und setzte ihn sich auf die Nase.

Er war ein Zauberer aus Syrakus – und nervös. Denn er war auf dem Weg zu seiner ersten Fernsehaufzeichnung in Palermo.

 

 

 

Sternschnuppen

Berlin. Es gibt einen Grund, warum ich so gern schreibe:

Ich liebe es, wenn sich das, was mir erzählt wurde, in meinem Kopf langsam zu einer Geschichte formt, die ich (be)greifen und anderen erzählen kann. Es ist, als würde man Sternschnuppen sehen.